Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
– Die radioaktive Strahlung des Atommülls aus dem Betrieb von Atomkraftwerken wird die Le-bensdauer aller von Menschen errichteten Bauwerke um ein Vielfaches überdauern. Keine menschliche Generation vor uns war genötigt, eine technische Einrichtung zu errichten, die für 35 000 Generationen Sicherheit gewährleisten muss.
– Trotz allen heute verfügbaren technischen Wissens und trotz hochentwickelter Ingenieurleis-tungen kann heute niemand garantieren, dass eine technische Einrichtung eine Million Jahre überdauert. Jede Entscheidung zur Lagerung von Atommüll muss daher sicherstellen, dass künftige Generationen Fehler korrigieren können, die wir heute trotz des Standes von Wissen-schaft und Technik nicht ausschließen können. Daher ist Rückholbarkeit als Grundprinzip der Risikovorsorge in den Sicherheitsanforderungen zu verankern. Die Festlegung der Sicherheits-anforderungen durch Verwaltungsbeamte des Landes ist genauso wenig akzeptabel wie die nachträgliche Anpassung der Sicherheitsanforderungen an bereits ausgewählte Standorte. Die Festlegung der Sicherheitsanforderungen mit Bedeutung für sehr viele künftige Generationen bedarf daher einer Legitimation durch das Parlament.
Der Landtag möge beschließen:
– Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die Entwürfe der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwicklender radioaktiver Abfälle, die derzeit im Bund-Länder-Ausschuss Atomkernenergie beraten werden, dem Landtag zur Beschlussfassung vorzulegen und damit die in der Endlagerfrage versprochene Transparenz herzustellen.
– Der Landtag hält eine Senkung der Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung von hochra-dioaktivem Atommüll, wie sie in dem Entwurf von März 2010 zum Ausdruck kommt, für völlig unverantwortlich.
– Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich für eine Verankerung der dauerhaften Kon-trolle und Rückholbarkeit einzusetzen, um den desaströsen Erfahrungen mit dem „Versuchs- und Forschungsendlager“ Asse II gerecht zu werden. Die behälterlose Bohrlochendlagerung ist abzulehnen, da sie jegliche Rückholbarkeit verhindert.
Begründung
Die Neufassung der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwicklender radioakti-ver Abfälle wurde von Bundesumweltminister Gabriel vorbereitet. Zur Neufassung der Sicherheits-anforderungen von 1983 hat es diverse Konsultationen im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen gegeben. Besonders kritisiert wurde dabei auch der Wegfall des sogenannten Mehrbarrierenprin-zips. Das Ergebnis sollte im Juli 2009 im Bundesanzeiger veröffentlicht werden, um Rechtskraft zu erlangen. In dem Entwurf von Juli 2009 war unter anderem vorgesehen, eine Rückholbarkeit von Atommüll für mindestens 500 Jahre zu gewährleisten.
Eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger scheiterte bislang am Widerspruch der Länder. Die Mehr-heit der CDU/FDP-geführten Bundesländer hat ein Inkrafttreten der Sicherheitsanforderungen ver-hindert und eine Zustimmungspflicht der Länder eingeklagt. In der Zwischenzeit ist der Entwurf der Sicherheitsanforderungen in einigen Schlüsselbereichen verändert worden. Dabei hat man offenbar die Sicherheitsanforderungen gesenkt: Die Rückholbarkeit wurde gestrichen. Laugenzuflüsse wer-den plötzlich als Regelfall angenommen. Der quantitative Risikoansatz wurde gestrichen. Hinzu kommt, dass auch in Gorleben selbst derzeit an der Senkung des ehedem propagierten Sicher-heitsniveaus gearbeitet wird mit der Vorbereitung einer behälterlosen Bohrlochlagerung von hoch-radioaktiven Glaskokillen.
Das ist eine Entwicklung, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Asse völlig unverant-wortlich ist. Offen ist auch, wie mit dem Abbruch von Forschungsvorhaben verfahren wurde, die noch bis Anfang der 90er-Jahre von den Genehmigungsbehörden und der Reaktorsicherheitskom-mission für unverzichtbar erklärt wurden.
Die Asse sollte Sicherheit „für alle Zeiten“ gewährleisten, wie Wissenschaftler renommierter Groß-forschungseinrichtungen des Bundes erklärten. Ein Wassereinbruch wurde von einst renommierten Wissenschaftlern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Dann kam al-les anders: Schon zehn Jahre nach Beendigung der Einlagerung erfolgte der GAU in Form eines Laugenzutritts aus dem Deckgebirge.
In der Asse fanden Gorleben-relevante und Anlagen-bezogene Forschungsvorhaben für Gorleben statt. Die Asse war der forschungspolitische Prototyp für Gorleben. Deshalb muss man aus den Er-fahrungen der Asse lernen.
Vor diesem Hintergrund ist eine Absenkung der Sicherheitsstandards unverzeihlich. Um entspre-chenden Entwicklungen Einhalt zu gebieten, muss der Landtag die Entscheidung über die Sicher-heitsanforderungen an sich ziehen. Die offenbar für den 10. Juni 2010 geplante abschließende Zu-stimmung des Landes im Bund-Länder-Ausschuss für Atomkernenergie muss unterbleiben. Die Gewähr für die Sicherheit vieler tausender nachfolgender Generationen ist kein verwaltungstechni-scher Vorgang. Die Entscheidung muss vielmehr dem Parlament vorbehalten bleiben.
Stefan Wenzel
Fraktionsvorsitzender